gegen Patriarchat und Kapitalismus
©Texte+Fotos Damian Bugmann
Kapitalistischer Fundamentalismus regiert: Wie modisch und aufmunternd sie durch die Schalterhalle tänzeln und schlendern mit ihren eng anliegenden Höschen und ihren knappen Tops, ihren coolen Frisuren und Makeups. Die Männer glotzen oder weiden diskret ihre Blicke, sexuelle Angebote und Übergriffe gegenüber Frauen sind aber so etwas von nicht angesagt und bleiben deshalb im öffentlichen Raum meist aus. Männer dürfen selbst keine geilen Blicke auf sich ziehen. Sie sollen gepflegt, enthaart, zurechtgestutzt und dezent modisch daherkommen. Sie müssen Kompetenz, Entschluss- und Durchsetzungskraft markieren, Vertrauen und Gefolgschaft explizit oder suggestiv einfordern. Sie
müssen als bolzende und manipulierende Machos operieren
um mitzuhalten im egoistisch-megalomanen Nah- und Fernkampf des verschärften Wettbewerbs.
Wollen sich Frauen in dieser Männerwelt etablieren, Machtpositionen ergattern, sollen sie attraktiv und «weiblich» sein, sexistische Übergriffe erdulden und abwehren. Und ihre im Patriarchat bewährten Kampf- und Machtmittel anwenden: Selbstbewusstsein zeigen, aufreizen, verführen, versteckt steuern und manipulieren. Spielen auf der Klaviatur der vorgegebenen Rollen von Müttern, Ehefrauen, Jungfrauen, Krankenschwestern, Dienstbotinnen, Schlampen, Hexen und Intrigantinnen.
Wettbewerb und individuelle Entwicklung ohne grundlegende Veränderung der Bedingungen ist die Devise. Die vagen bürgerlichen Vorstellungen von Frauen- und Männer-Emanzipation und gleichen Chancen und Rechten sind Schall und Rauch, stehen in krassem Kontrast zur patriarchalen kapitalistischen Wirklichkeit. Heisse Luft wie die hochfliegen-den, unverbindlichen Erklärungen, den CO2-Ausstoss zu reduzieren und dann nie einzuhalten. ProletarierInnen aller Länder vereinigt euch.
©Text Damian Bugmann
Erstveröffentlichung vorwärts Dezember 2018
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©alle Fotos diese Seite Damian Bugmann
Sex und Geschlechterbeziehungen in Europa: desolater Zustand, Notstand hinter glamouröser Aufreizung in
Showbusiness, Medien und Werbung. Rund um die star-ren, unhinterfragten ideologischen Beziehungsformen
Ehe und Familie grassieren Neurosen und Geschlechter-kampf ohne Bewusstsein.
Frauen und Männer nehmen sich oft nicht ernst, verspotten und dissen das andere Geschlecht. Die mit bürgerlicher Ideologie aufgeladene und mystifizierte Familie mit Zweierbeziehung stösst schnell an ihre Grenzen. Oft schon nach wenigen Jahren oder wenn die Kinder da sind. Viele mögen keinen Sex mit ihren EhepartnerInnen mehr haben. Verliebtheit verblasst, die Interessen driften auseinander in dieser schnelllebigen Zeit mit seinen zahlreichen Identifikationsangeboten. Der Ofen ist aus. Man versteht sich immer weniger, ist vorderhand vordergründig nett. Vielleicht fallen etwa spitze bis aggressive Bemerkungen, vielleicht bricht heftiger Streit aus. Vielleicht sucht man den Sex ausser Haus. Viele Männer suchen gelegentlich, oft oder ausschliesslich Spass und Abenteuer bei Prostituierten.
Heisse Sexarbeiterinnen aus den Kolonien werden angelockt und importiert. Sie sind oft sexuell noch freier und weniger verdorben von religiöser Zivilisation und Sexualmoral. Diesbezüglich unbeschwerter und motiviert, folgen sie dem Mythos vom sozialen Aufstieg durch clevere Ideen, harte Arbeit und Lustverzicht. Mit ihrer Arbeit an zivilisations-gebeutelten Männern haben sie Ventilfunktion und helfen mit, Familien und Ehen zu stabilisieren. Aber auch sie sind bei ihrer Arbeit im körperlichen Bereich und im Intimbereich nicht immun gegen respektlose Belästigung, gegen patriarchale Gewalt und kapitalistische Neurosen.
Sie kommen in den fortgeschrittenen Kapitalismus. Heute füllen clevere Unternehmer ganze Häuser, oft Abbruchliegenschaften, mit Sexarbeiterinnen, und richten ihr Angebot auf Kundenwünsche aus, auch wenn diese respektlos oder gewaltvoll sind. Gearbeitet wird sieben Tage pro Woche, kaum Ferien, Sozialversicherungen gibt’s nicht, die Frauen tragen das Risiko. Sie leben und arbeiten in einem Zimmer in kleinen Wohnungen mit anderen Sexarbeiterinnen.
Nach zwei, drei Wochen müssen die Nomadinnen die Stadt wechseln, damit die Unternehmen der Kundschaft frische Ware bieten und ihre Konsumlust anstacheln können. Nicht wie in alten Zeiten, als die Prostituierten sich niederliessen, eine Stammkundschaft aufbauten, sich einigermassen integrierten und auch von den positiven Aspekten der sozialen Kontrolle profitierten.
Die Erträge der Frauen sind oft schlecht, Vermittelnde und Vermietende aber verdienen gut an ihnen. Wer ohne Gummi und mit Zungenküssen arbeitet und Sperma schluckt, hat vielleicht ein etwas besseres Einkommen, Transfrauen sind
im Trend und haben ebenfalls gute Chancen. Viele Männer können oder wollen in dieser im Grund sexualfeindlichen Gesellschaft nicht zu ihrer Homo-, Bi- oder Pan-Sexualität stehen und stillen die verpönten Bedürfnisse lieber heimlich
mit exotischen penistragenden Frauen.
Einmal mehr löst die «offene, freie Gesellschaft», die «beste aller Gesellschaftsformen» keine Probleme, sondern schafft welche, privatisiert und kommerzialisiert sie. Der vermeintlich alle beglückende bürgerlich-liberale Kapitalismus und sein angeblich alles regulierender heiliger Markt richten auch in diesem Bereich munter und unbeirrt flächendeckende Kollateralschäden an.
©Text Damian Bugmann 2017
Erstveröffentlichung vorwärts November 2017