STALINGRAD

Ruine einer Werkhalle des Stahlwerks «Roter Oktober», Stalin-grad, Januar 1943.                                                                       Foto: zVg   

Ein globaler Wendepunkt

Im Frühjahr 1943 siegte die Rote Armee der Sowjetunion nach grausamen und verlustreichen Kämpfen in Stalin-
grad über die faschistische deutsche Wehrmacht. Dies führte zu einer Wende im deutschen Zerstörungs- und Vernichtungskrieg gegen die UdSSR und im Zweiten Weltkrieg.

Anfang November 1942 hatte die Wehrmacht 90 Prozent des Stadtgebiets von Stalingrad erobert. Doch die vollständige Eroberung der zerstörten Stadt gelang aufgrund des enormen Widerstands der Roten Armee nicht. Die deutschen Truppen und ihre Verbündeten, vor allem Rumänen und Kroaten, wurden am 19. November 1942 durch die sowjetische Gegenoffensive eingekesselt. In Deutschland wurde noch an Weihnachten 1942 in Radio und Wochenschauen innige Verbundenheit mit den mannhaft tapferen (in Wirklichkeit ausgehungerten, trau-matisierten, kranken und erfrierenden) Soldaten zelebriert und Durchhaltewillen und Siegeszuversicht markiert. Doch andere, zum Beispiel chinesische Kommunist*innen, schätzten die La-
ge ganz anders ein: «Ich glaube fest daran, dass der Jahres-
tag der Oktoberrevolution in diesem Jahr nicht nur den Wen-depunkt im sowjetisch-deutschen Krieg, sondern auch den Wendepunkt auf dem Weg zum Sieg der antifaschistischen Weltfront über die Front des Faschismus bedeutet», schrieb Genosse Mao Tse-tung zum 25. Jahrestag der Oktoberrevo-lution am 6. November 1942 (Ausgewählte Werke Band 3, Peking 1969).

Einkesselung der Deutschen

Wie gleichzeitig vor Leningrad wurden die Naziinvasoren in Stalingrad im Frühjahr 1943 mit ihrer eigenen und für sie vorher sehr erfolgreichen Einkesselungstaktik besiegt. Der identitäts-stiftende, verlustreiche Abwehrkrieg gegen die Faschisten in den Ruinen der Stadt stärkte das Selbstbewusstsein der So-wjetunion gegen innen und aussen. Deutschlands Verbündete Italien, Ungarn und Rumänien mussten in Stalingrad erhebliche Verluste hinnehmen und begannen, sich von Deutschland zu distanzieren, um einen Separatfrieden mit der Antihitlerkoali-tion zu schliessen.

In Italien trug die Niederlage ein paar Monate später zum Sturz des Diktators Benito Mussolini bei und führte dazu, dass Ita-lien im Krieg die Seiten wechselte. Die spanische Falangisten-divison wurde ins Francoland zurückbeordert, doch ein Teil
von ihr blieb bis zur Kapitulation in Berlin dabei.

Mit neuem Elan machte sich die Rote Armee zum Gegenstoss bis Berlin auf, wo sie Ende April 1945 eintraf. Der grosse Erfolg ermunterte die Partisanenkämpfe in den besetzten Gebieten und den Vorstoss der Westallierten nach Deutschland. Bis heute aber spielen bürgerliche Geschichtsschreibung und Massenmedien in Einklang mit der 1947 lancierten antikom-munistischen Propaganda den grossen Beitrag der UdSSR zum Sieg über die Nazis herunter oder ignorieren ihn, um die Erfolge der USA und der Westallierten zu erhöhen.

Umkämpfte Stadt

Bis 1925 hiess die Stadt an der Wolga noch Zarizyn, dann wurde sie zu Ehren von Josef Stalin, der hier im Bürgerkrieg
als Armeekommissar tätig gewesen war, in Stalingrad («Stalin-stadt») umbenannt. Während der sogenannten Entstalinisie-rung wurde sie 1961 schliesslich Wolgograd getauft. Die Stadt liegt etwa 1000 Kilometer südöstlich von Moskau am west-lichen Ufer der Wolga und rund 400 km nördlich der Mündung des Flusses ins Kaspische Meer. Sie erstreckt sich heute in einer Breite von bis zu 10 Kilometern über 60 Kilometer am Ufer der Wolga entlang.

Bereits im so genannten Bürgerkrieg, dem Krieg der Weissen Truppen und der Westalliierten gegen die Oktoberrevolution von 1917 bis 1920, hatte es um Wolgograd erbitterte Kämpfe gegeben um die Stadt an der Kreuzung der Transportwege vom Süden des Landes nach Moskau und Petrograd/Sankt Petersburg (Leningrad). Während des Eroberungsfeldzugs von Nazideutschland fanden in Stalingrad (wie vor Leningrad und Moskau) 1942/43 grausame Kämpfe zwischen faschistischen deutschen und der sozialistischen russischen Truppen statt, enorme Zerstörungen blieben zurück. Von Deutschland wurde der von 1941 bis 1945 dauernde Krieg als «Russland- oder Ostfeldzug» bezeichnet, von der Sowjetunion als «Grosser Vaterländischer Krieg», die bürgerliche Geschichtsschreibung nennt ihn «Deutsch-Sowjetischer Krieg». Der Krieg begann am 22. Juni 1941 mit dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion («Unternehmen Barbarossa») und endete nach der Schlacht um Berlin am 8./9. Mai 1945 mit dem Selbstmord Hitlers und der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht. Er forderte zahlreiche Millionen Todesopfer.

Symbolische Bedeutung

Im Rahmen der sowjetischen «Operation Uranus» in Stalin-
grad wurden die sowjetischen Truppen von über 230'000 Sol-daten der deutschen 6. Armee im Spätsommer 1942 von drei Seiten eingekesselt. Der deutsche Angriff hatte am 23. August 1942 mit einer massiven Bombardierung der Stadt durch die Luftwaffe begonnen. Im September erreichten die Kämpfe die Innenstadt, wobei mehrere zentrale Punkte, darunter der Hauptbahnhof und der Mamajewhügel, mehrmals von beiden Kriegsparteien erobert wurde. Die verteidigenden Truppen der Roten Armee konnten nur durch Schiffe ihren Nachschub vom unbesetzten Ostufer der Wolga erhalten.

Ziel der Wehrmacht war es, durch die Einnahme der Stadt
den Schiffsverkehr auf der Wolga zu unterbinden, über die unter anderem Hilfslieferungen der Alliierten vom Persischen Korridor und durch das Kaspische Meer nach Nord- und Zentralrussland transportiert wurden. Für die Deutschen war es symbolisch wichtig, die Stadt, die den Namen des wich-tigen Bolschewiki, Generalsekretärs des Zentralkomitees der KPdSU und Vorsitzender des Rats der Volkskommissare trug, zu erobern, für die Russen, sie nicht den faschistischen Truppen zu überlassen.

Alptraum statt Vernichtung

Am 31. Januar 1943 ergaben sich die Reste der 6. deutschen Armee unter Generalfeldmarschall Friedrich Paulus im Süd-kessel, am 2. Februar 1943 im Nordkessel. Der Traum vom Blitzkrieg zur Knechtung und Vernichtung der slawischen Untermenschen, der Vernichtung von Bolschewismus und Ostjudentum und für Land, billige Arbeitskräfte und Erdöl war zum Alptraum geworden und nach 200 Tagen vorüber. Über 100 000 deutsche und verbündete Soldaten gingen in Ge-fangenschaft. Stalingrad war fast vollständig zerstört. Mit dem Wiederaufbau wurde unmittelbar nach der Befreiung im Feb-ruar 1943 begonnen. Im selben Jahr wurde auch die Städte-partnerschaft mit dem durch deutsche Luftangriffe stark zer-störten englischen Coventry geschlossen. 1945 erhielt Stalin-grad den offiziellen Titel «Heldenstadt». In der Stadt wurden
die drei sowjetischen Kriegsgefangenenlager und das Kriegs-gefangenenspital eingerichtet.

Alle Rechte Text Damian Bugmann 2018, Erstveröffentlichung vorwärts Nr. 03/04.18

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Link:   DDR + CHINA

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Vor und nach Stalingrad

Das Verhalten von Feldmarschall Friedrich Paulus und seiner Generäle in der sowjetischen Gefangenschaft.  Link: rt deutsch

Fotos aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg vor der kompletten Zerstörung Stalingrads.

Leninplatz in Stalingrad                       Mehr:   Link:  rtdeutsch

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Der Faschismus überlebt versteckt

Nach dem Sieg von Stalingrad im Frühjahr 1943 verfolgte die Rote Armee die deutsche Imperialisten-Wehrmacht ausdauernd bis nach Berlin und erreichte 1945 ihre be-dingungslose Kapitulation. Auf den Sieg und die Aner-kennung durch die Westalliierten folgten aber bald Kalter Krieg und Konterrevolution.

Er unterhält mit faszinierenden Bildern, realistischen Figuren und nicht zu dick aufgetragener Spannung und Action: der russische Spielfilm «Der weisse Tiger – Die grosse Panzer-schlacht» (2012) von Karen Shakhnazarow. Darüber hinaus macht er Aussagen über den deutsch-europäischen Faschis-mus und Imperialismus. Die Handlung: Obwohl seine Haut fast vollständig verbrannt ist, überlebt der Fahrer eines sowjetischen Panzers den Angriff eines Feuer speienden, weissen deutschen Panzers. Er hat zwar das Gedächtnis verloren, kann dafür aber die Bewegungen der feindlichen Panzer voraussehen.

Zusammen mit zwei robusten, tüchtigen und witzig gezeich-neten Schützen hat er den Auftrag, in einem speziell gepanz-erten Tank den geheimnisvollen und unverletzlich scheinenden «weissen Tiger» aufzuspüren und zu zerstören. Der taucht bei Panzerschlachten überraschend aus dem Nichts auf, zerstört viele sowjetische Panzer, verbrennt ihre Besatzungen, ver-schwindet wieder im Nichts und verzögert so den sowjetischen Vormarsch auf Berlin.

Die dreiköpfige Panzerbesatzung und ihr Major können ihm zwar empfindliche Schäden zufügen, ihn aber nicht unschädlich machen. Der nicht fassbare, gefährliche Panzer steht für den Faschismus, der nicht vollständig besiegt worden ist, der ver-steckt überlebt und immer wieder erscheint.

In der Schlussszene, nach der Kapitulation der Deutschen vom 8. Mai, monologisiert ein stinkreicher Faschist in seiner Luxus-villa über die Niederlage des deutschen Imperialismus, über
die barbarischen Russen und Juden und über die Mission der Nazis. Das Vorhaben, die dunklen jüdischen und slawischen Mächte zu zerstören, sei nicht gelungen, das Vorhaben, das seiner Meinung nach ganz Europa von Deutschland erwartet habe. Der Krieg sei zwar vorbei, aber er sei normal, es werde immer wieder Krieg geben. Das klingt wie die Drohung «Freut euch nicht zu früh, wir kommen wieder!». Es ist offenbar nicht genug, dass mehr als dreizehn Millionen osteuropäische Zivi-list*innen und Kriegsgefangene umgebracht wurden. Der Film «Der weisse Tiger» zeigt sehr gut die russische Sicht auf den andauernden West-Ost-Konflikt.

Stärkung des Sozialismus, dann Konterrevolution
Die Sowjetunion hatte den grössten Anteil am Sieg über die Nazis. Beim Zusammentreffen der West- und Ostallierten an
der Elbe kam schon fast eine versöhnliche Stimmung auf. Jo-sef Stalin, Generalsekretär des ZKs der KPdSU und Oberbe-fehlshaber der Roten Armee, trat an der Friedenskonferenz von Jalta auf der Krim im November 1945 als geschickter Diplomat, grosser Staatsmann und grosszügiger Gastgeber auf. Die Westalliierten akzeptierten, dass Polen sozialistisch bleiben sollte und dass die UdSSR in Osteuropa einen Gürtel von befreundeten Staaten gegen westliche Angriffe bekam – ein Schutz, den die Russische Föderation nach der Konterre-volution 1990 verlor: Bundeswehr und Nato stehen weit im Osten, ähnlich wie 1941/42 die Wehrmacht und ihre Verbündeten.

Der Feind «Bolschewismus» und Russland war vom deutschen Imperialismus nicht beseitigt, sondern durch dessen Zerstö-rungs- und Ausrottungskrieg gestärkt worden. Die Rote Armee und kommunistische Partisan*innen feierten militärische Erfolge in Europa und Asien. Stalin und die Sowjetunion waren 1945 als Befreier und Retter der europäischen Zivilisation beliebt, China arbeitete an der sozialistischen Revolution und in Deutschland hätte laut Umfragen eine Mehrheit der kapitalistischen Unter-tanen die Planwirtschaft der Marktwirtschaft vorgezogen.

Zuerst Kriegsheld, dann Monster
In den USA galt Generalsekretär Josef Stalin unter Präsident Franklin D. Roosevelt noch als Kriegsheld, unter Harry Truman als Monster und Massenmörder. Der britische Ex-Premier Winston Churchill lancierte 1946 gewichtig den Begriff des «Eisernen Vorhangs». Der Westimperialismus zeigte mit der atomaren Zerstörung und Verseuchung von Hiroshima und Nagasaki drohend seine verheerende Macht. Ab 1947 setzte er eine gewaltige antikommunistisch-rassistische Propaganda-maschine in Gang. Diese leugnete die grossen Verdienste der Sieger von Stalingrad und Befreier Osteuropas und machte sie zu blutrünstigen Unterdrückern, hinterlistigen Schurken und unfähigen, herzlosen Bürokraten. Von den Nazis musste man sich angesichts der nicht zu leugnenden Verbrechen distan-zieren, also musste die Sowjetunion mindestens ebenso grau-sam dargestellt werden.
Diese Propaganda wurde weitgehend auf die kapitalistische Russische Föderation übertragen, die sich dem westlichen Imperialismus und Neoliberalismus entzieht, wo sie kann.

Konsum und Geschichtsrevisionismus
Antikommunistische Propagandafälschungen allein genügten nicht. Es brauchte eine deftige wirtschaftliche Prosperität mit vielfältigen Konsumangeboten in Deutschland und anderen Staaten, um Politiker, Medienschaffende und eine Bevölke-rungsmehrheit in der Tasche zu haben. Eilig musste der «Mar-shall-Rettungsplan» her, das «Wirtschaftswunder» wurde von den USA lanciert, die Berliner Luftbrücke inszeniert und der Mythos der Rosinenbomber verbreitet. Unabdingbar waren im Kalten Krieg auch Sabotage, Anschläge und Putschversuche, geheimdienstliche und militärische Offensiven, atomares Wet-trüsten, grausame Eroberungskriege und Massaker wie in Korea, Vietnam und Indonesien.

Es brauchte gut vierzig Jahre harte und fiese Diffamierungs-, Infiltrations- und Interventionsarbeit bis die imperialistischen Mächte die Mutter der Weltrevolution beseitigen konnten, China wurde frühzeitig diplomatisch und wirtschaftlich abgespaltet.
Die antikommunistische patriarchale Geschichtsfälschung ist deshalb heute auf dem Planeten so tief verinnerlicht wie noch nie. Systemkritik gilt im Mainstream als undankbar, unanständig, dogmatisch und veraltet.

Alle Rechte Text Damian Bugmann 2021, Erstveröffentlichung vorwärts Nr. 09/10.21

Winston Churchill, Franklin D. Roosevelt und Josef Stalin
auf der Konferenz von Jalta 1945.                     Foto: zVg

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